Sonntag, 18. November 2012

zwischen Leichtsinn und Panik

In letzter Zeit habe ich meinen Blog ein bisschen vernachlässigt. So ist in den vergangenen Tagen und Wochen sehr viel passiert über das ich schreiben könnte. Angefangen von lustigen und schönen Geschichten aus der Arbeit, dem Leben mit den anderen Voluntären, unglaublich lustigen WG-Ausflügen, über Rollstuhlrennen im Zoo, dem Besuch meiner Mutter und der damit verbundenen Besichtigung vieler interessanter Orte in Israel, meiner anschließenden Reise nach Jordanien, meinem Hobby Touguide in Jerusalem zu spielen, Problemen in Brasilien, bis hin zur politischen Lage im Augenblick hier in Israel.
Doch angesichts der kritischen und ungewissen Lage und der vielen Nachfragen, möchte ich mich auf letzteres konzentrieren und euch auch ein bisschen darüber informieren, wie wir das hier alles wahrnehmen.

Die letzten Tage wurde in den deutschen und in den israelischen Nachrichten ständig über den Konflikt im Gaza berichtet. Doch selbst hier in Jerusalem kam das einem immer relativ weit entfernt vor. Man konnte alles von weitem beobachten und sich ein eigenes Bild von der Situation machen. Dieses sah bei uns Voluntären ziemlich verschieden aus. Die einen waren optimistisch, dass der Konflikt sich bald legt während andere sich bereits Horroszenarien von einem großen Krieg vorstellten.

16.11.2012 Freitagnachmittag ca. 16:30 Uhr - in einer Gemeinde messianischer Juden in der Innenstadt

Im Gottesdienst mit 2 anderen Voluntären; plötzlich hört man eine Sirene. Stille im ganzen Saal, überall nur verdutzte Blicke. Kann das wirklich war sein?! In Jerusalem - jetzt schon?? Keiner weiß was wirklich los ist, was passiert ist oder was passieren wird...
Aufgrund der Ungewissheit, wie ernst die Lage doch nun ist, wird der Gottesdienst abgebrochen, damit wir uns in einen sichereren Raum begeben können, um hier alles abzuwarten. Viele stehen unter Schock, manche weinen, weil sie wahrscheinlich Leute kennen, die nun selbst unten im Gazastreifen und Umgebung sind, beispielsweise als Soldaten. Alle sitzen in der mitte des Raumes, die Fenster werden abgeklebt, um bei einer Explosion Glassplitter zu vermeiden, das Radio wird eingeschalten um vielleicht etwas über die Lage zu erfahren, Kinder spielen auf dem Boden, andere beten und wieder andere warten einfach nur ab.
Nach ca. einer halben Stunde dürfen wir wieder ohne Gefahr den Raum verlassen und uns auf die Staße begeben. Hier sieht man wenig Leute, die meisten bleiben nun zuhause. Auf der anderen Seite sieht man aber auch Leute ganz normal im Café sitzen, als wäre nichts geschehen.
Später erfahren wir, eine der beiden Raketen sei bei Gilo eingeschlagen - einem Vorort Jerusalems, in dem die Volunteerinnen von AKIM leben. Durch die anfängliche Ungewissheit, was den überhaupt passiert ist, machen sich alle Sorgen. Im Nachhinein stellt sich aber heraus, dass nichts großes passiert ist und die Rakete im Waldgebiet eingeschlagen ist. Das nimmt ein wenig die Anspannung. Trotzdem sind alle ziemlich bedrückt und auch geschockt, da das der erste Luftalarm in Jerusalem seit über 20 Jahren war und selbst im Irakkrieg nie Raketen nach Jerusalem geschossen wurden.

Das ganze hat uns alle merken lassen: der Krieg ist nicht weit weg. Er ist hier um die Ecke, keine 70 km Luftlinie entfernt. Das hat diejenigen die leichtfertig mit der Lage umgegangen sind, in diese Gruppe würde ich mich im nachhinein auch positionieren, wach gerüttelt und andere wahrscheinlich noch mehr in Panik versetzt, sodass sogar auch schon die ersten Voluntäre in anderen Projekten nach Hause geflogen sind. Das ist aber auf alle Fälle nicht das was ich und auch die meisten anderen Voluntäre anstreben. Ich denke hingegen zu diesem doch so ungeschickten Zeitpunkt über eine Verlängerung meiner Zeit in Israel nach.

So kommen wir noch zu einem weiteren Punkt: meinen Problemen mit Brasilien. Die brasilianische Regierung hat mal wieder gemeint, sie müsse die Einreisebestimmungen ändern und hat kurzer Hand die maximale Aufenthaltszeit auf 90 Tage gekürzt. So kommt es, dass ich nun nachdenke möglicherweise bis März in Israel zu bleiben. Jedoch werde ich das nun auch noch von dem weiteren Verlauf der Situation im Gaza abhängig machen, da man jetzt noch nicht absehen kann wie der Konflikt weiter geht und ob er sich nicht vielleicht demnächst auch ausweitet. So bleibt uns nichts weiteres übrig als die Lage zu beobachten, abzuwarten zu hoffen und zu beten, dass sich nicht der Krieg uns allen einen Strich durch Rechnung zieht und wir deshalb unseren Einsatz abbrechen müssen.


Ich hoffe ihr müsst auf meinen nächsten Eintrag nicht all zu lange warten und ich kann euch nächstes mal wieder erfreulicheres mitteilen.